Die langen Verfahrensdauern in Disziplinarverfahren sind extrem schlimm und für die Betroffenen belastend.
Aufgrund von steigendem Personalmangel und Überlastung der Verwaltung kommt es in der Praxis immer häufiger zu überlangen Verfahrensdauern in Disziplinarverfahren.
Mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.11.2024, Az.: 2 C 16.23, wurde nochmal klargestellt, dass eine überlange Dauer eines Disziplinarverfahrens nur dann bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme berücksichtigt werden kann, wenn sie sich tatsächlich auf den Ausgang des Verfahrens ausgewirkt hat.
Gerade deshalb lohnt es sich, einen genaueren Blick auf dieses Urteil zu werfen.
Dauer von Disziplinarverfahren – Was ist passiert?
Wie kam es aber zu einer überlangen Verfahrensdauer?
Ein ehemaliger Technischer Bundesbahnamtsrat, der seit 2008 als schwerbehindert anerkannt ist, geriet 2007 ins Visier der Ermittlungsbehörden.
Ein anonymer Hinweis hatte den Verdacht ausgelöst, dass er über viele Jahre von mehreren Firmen Vorteile erhalten hatte – zum Beispiel Geld, Dienstwagen, Tankkarten und andere Leistungen, ohne dass es dafür eine angemessene Gegenleistung gab.
Daraufhin wurde ein Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft eingeleitet und seine Wohnung sowie andere Orte durchsucht.
Der Beamte wurde anschließend durch den Dienstherrn vom Dienst suspendiert.
Im Mai 2011 leitete sein Dienstherr ein Disziplinarverfahren ein, setzte es aber zunächst wegen des laufenden Strafverfahrens aus.
Erst 2012 wurde es wieder aufgenommen, und erst im Dezember 2014 kam es schließlich zur offiziellen Disziplinarklage – also rund sieben Jahre nach den ersten Vorwürfen.
Der Beamte war zwischenzeitlich in den Ruhestand getreten.
Das Verwaltungsgericht erkannte ihm 2018 das Ruhegehalt ab, weil es von einem schweren Fehlverhalten ausging.
Die Aberkennung des Ruhegehalts ist die schwerste Disziplinarmaßnahme für Ruhestandsbeamte.
Das Oberverwaltungsgericht bestätigte 2022 in der zweiten Instanz in der Berufung diese Entscheidung.
Die Richter waren der Meinung, dass der Beamte so gravierend gegen seine Pflichten verstoßen habe, dass er – wäre er noch im aktiven Dienst – entlassen worden wäre.
Deshalb sei es auch im Ruhestand richtig, ihm das Ruhegehalt zu entziehen.
Der Beamte kritisierte unter anderem die extrem lange Dauer des Verfahrens.
Er meinte, dass dies zu seinen Gunsten hätte berücksichtigt werden müssen – etwa durch eine mildere Disziplinarmaßnahme.
Zur Begründung führte er die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und und die EU-Grundrechtscharta (GRC) an.
Unter anderem deshalb ging er in die Revision beim Bundeverwaltungsgericht.
Das hohe Gericht sah das jedoch anders:
Es erkannte die überlange Verfahrensdauer an.
Befand aber, dass die lange Verfahrensdauer allein nicht ausreicht, um das Urteil abzumildern.
Rechtliche Würdigung – Auswirkungen einer überlangen Verfahrensdauer
Die rechtlichen Grundlagen für den Verlust von Ruhegehalt bei Beamten finden sich in den einschlägigen Disziplinargesetzen des Bundes und der Länder.
Im vorliegenden Fall stützte sich die Entscheidung auf § 13 Abs. 2 Satz 2 BDG a. F.
Seit der Reform des BDG gelten künftig andere Regeln.
Diese Vorschrift sieht vor, dass einem Beamten im Ruhestand das Ruhegehalt aberkannt werden kann, wenn er ein Dienstvergehen begangen hat, für das er im aktiven Dienst aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen.
Im Verfahren wurde geprüft, ob wegen der unangemessen langen Dauer des Disziplinarverfahrens von der Aberkennung des Ruhegehalts abgesehen werden müsste.
Dies verneinte das Gericht.
Weder Artikel 6 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) noch Artikel 47 Absatz 2 der EU-Grundrechtecharta (GRC) würden dazu verpflichten, eine disziplinarrechtlich gebotene Maßnahme wie den Verlust des Ruhegehalts allein deshalb zu unterlassen, weil das Verfahren zu lange gedauert habe.
Artikel 6 EMRK und Artikel 47 GRC würden ein faires Verfahren innerhalb angemessener Frist garantieren.
Ein Verstoß gegen diese Regel begründe jedoch lediglich einen Anspruch auf Entschädigung – etwa in Geld –, nicht aber das Recht, eine gerechtfertigte Strafe oder Disziplinarmaßnahme zu vermeiden.
Nach Auffassung des Gerichts konnte die lange Dauer des Verfahrens das durch das Dienstvergehen zerstörte Vertrauen in den Beamten nicht wiederherstellen.
Die disziplinarische Maßnahme sei daher weiter gerechtfertigt.
Auch der Umstand, dass sich der Beamte inzwischen im Ruhestand befände, würde daran nichts ändern.
Das Gesetz verlange, so die Richter, eine fiktive Rückschau:
Es müsse gefragt werden, wie die Sache ausgegangen wäre, wenn der Beamte noch im aktiven Dienst gewesen wäre.
Die vom Beklagten vorgebrachte Argumentation, dass ein Ruhestandsbeamter keine dienstlichen Aufgaben mehr wahrnehme und deshalb keine Gefahr für die Verwaltung darstelle, ließen die Richter nicht gelten.
Das Ziel des Gesetzes sei es, eine einheitliche und gerechte Sanktionierung sicherzustellen – unabhängig davon, ob der Beamte im Dienst oder bereits im Ruhestand sei.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union könne eine Überschreitung der Verfahrensdauer nur dann zur Aufhebung eines Urteils führen, wenn nachweisbar sei, dass die Verzögerung den Ausgang des Rechtsstreits beeinflusst hat.
Im vorliegenden Fall konnte der Beklagte dies nicht belegen, da seine Hinweise auf die Demenz eines Zeugen pauschal blieben und vom Berufungsgericht nicht berücksichtigt wurden.
Zudem stützte sich das Gericht nicht auf die Zeugenaussage, sondern auf andere Darstellungen des Beklagten, weshalb kein Einfluss der Verfahrensdauer auf das Urteil angenommen wird.
Auch die Rechtsprechung zum Strafrecht, die bei langen Verfahren unter bestimmten Umständen Strafmilderung zulässt, sei laut dem Urteil nicht auf das Disziplinarrecht übertragbar.
Im Disziplinarverfahren stünde nicht die Bestrafung, sondern der Schutz des Vertrauens in den öffentlichen Dienst im Vordergrund.
Zu der anderen im Urteil aufgeworfenen Frage bezüglich einer verspäteten Einleitung eines Disziplinarverfahrens werde ich noch einen gesonderte Blogbeitrag veröffentlichen.
Einleitung eines Disziplinarverfahrens – Was ist zu tun?
Wenn gegen Sie ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde oder Sie mit einer entsprechenden Maßnahme rechnen müssen, ist es wichtig Ruhe zu bewahren und umsichtig zu handeln.
Machen Sie von Ihrem Recht Gebrauch, keine Angaben zur Sache zu machen, und vermeiden Sie eigenständige Stellungnahmen oder Erklärungen – insbesondere Rechtfertigungen – ohne vorherige anwaltliche Beratung.
Wie Sie sich als betroffenerBeamter in einem Disziplinarverfahren angemessen verhalten, erläutere ich im Beitrag „Disziplinarrecht – 5 Verhaltenstipps für Beamte“.
Lassen Sie außerdem prüfen, ob das Verfahren rechtmäßig eingeleitet wurde und welche Schritte nun sinnvoll und erforderlich sind.
Eine frühzeitige anwaltliche Unterstützung kann entscheidend für den weiteren Verlauf sein.
In jedem Fall ist es ratsam, frühzeitig einen auf Beamtenrecht spezialisierten Rechtsanwalt hinzuzuziehen, um die rechtliche und tatsächliche Lage sorgfältig zu besprechen.
Auf Grundlage eines ersten Beratungsgesprächs lassen sich die nächsten sinnvollen Schritte gezielt planen.
Als Anwalt für Beamtenrecht biete ich betroffenen Beamtinnen und Beamten die Möglichkeit, ein Erstberatungsgespräch zu vereinbaren.