Die Aufnahme in den Polizeidienst ist nicht nur eine Frage der Qualifikation und persönlichen Eignung.
Auch die gesundheitliche Eignung spielt eine entscheidende Rolle.
Wer den Traum hat, Polizist zu werden, muss nachweisen, dass er die körperlichen und psychischen Anforderungen dieses besonderen Berufs langfristig erfüllen kann.
Doch was gilt, wenn bereits im Bewerbungsverfahren gesundheitliche Zweifel bestehen?
Welche Maßstäbe legt das Bundesverwaltungsgericht an und wie geht man vor, wenn man selbst betroffen ist?
Diese Fragen beantwortet ein aktuelles Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.02.2025, Az.: 2 C 4/24) das grundsätzliche Maßstäbe für die gesundheitliche Eignung von Polizeibewerbern erklärt.
Besonders relevant ist die Entscheidung für Bewerber mit Vorerkrankungen oder einem erhöhten gesundheitlichem Risiko, z.B. nach einem Schlaganfall oder mit genetischen Dispositionen.
Im Zentrum steht die Frage:
Wann darf ein Bewerber wegen gesundheitlicher Risiken vom Polizeidienst ausgeschlossen werden.
I. Sachverhalt
Was war in dem Fall, den das Gericht zu entscheiden hatte passiert?
Der Kläger hatte als Polizeikommissaranwärter (Beamter auf Widerruf) einen Schlaganfall erlitten.
Nach erfolgreicher Reha und Sportprüfung wurde er dennoch nicht in das Beamtenverhältnis auf Probe übernommen.
Begründet wurde dies mit einer medizinisch nachgewiesenen genetischen Mutation (Faktor-V-Leiden), die das Risiko eines weiteren Schlaganfalls im Vergleich zu Normalbevölkerung um das 380-Fache deutlich erhöhte.
Der Kläger hatte hierauf erfolglos ein Widerspruchsverfahren durchgeführt und anschließend beim Verwaltungsgericht geklagt.
Das Verwaltungsgericht gab dem Kläger recht (vgl. VG Trier, Urteil vom 15. November 2022, Az.: 7 K 3052/21.TR, nicht veröffentlicht).
Das gefiel dem Dienstherrn nicht, der gegen das Urteil in Berufung ging.
Das Oberverwaltungsgericht hob zum Erstaunen des Klägers das Urteil der ersten Instanz auf.
Zur Begründung führte es aus,
„eine Polizeidienstuntauglichkeit sei über die geltenden Maßstäbe hinaus auch dann anzunehmen, wenn bei einem Bewerber, bezogen auf die Normalbevölkerung, das deutlich erhöhte Risiko für den Eintritt einer solchen Erkrankung bestehe, deren Auftreten in besonderen Einsatzlagen eine Gesundheitsgefahr für den Polizeivollzugsbeamten selbst oder für Dritte darstellen könne.
Das Risiko, bei einer zu seiner Dienstlaufbahn gehörenden Einsatzsituation einen erneuten Schlaganfall zu erleiden, sei beim Kläger (mit 1,9 %/Jahr) gegenüber der Normalbevölkerung (0,005 %/Jahr) ganz deutlich (um das 380-fache) erhöht.
Das Entsprechende gelte für die zusätzlich beim Kläger diagnostizierte Mutation nebst weiterer Faktoren für die Erhöhung des Risikos einer Thrombose.“
vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Februar 2025, Az.: 2 C 4/24, Rn. 4.
Diesen erweiterten Maßstab wollte sich der Kläger wiederum nicht gefallen lassen und ging beim Bundesverwaltungsgericht in Revision.
Die Revision hatte er Erfolg.
Das Gericht verwies auf die geltenden Maßstäbe und stellte klar, dass die Erweiterung durch das Oberverwaltungsgericht nicht zulässig war.
Die entscheidende Frage lautete daher:
Darf ein Bewerber mit gesundheitlicher Vorerkrankung oder erhöhtem Risiko vom Polizeidienst ausgeschlossen werden, selbst wenn er aktuell gesund ist und die erforderliche Prognose zum künftigen Gesundheitsverlauf nicht negativ ausfällt?
Diese Ausgangslage führte zu zentralen rechtlichen Fragen, die das Gericht umfassend beantwortete und die wir im Folgendem im Zusammenhang erklären.
II.1. Gehört die gesundheitliche Eignung zu den Auswahlkriterien des Art. 33 Abs. 2 GG?
Die erste Frage:
Gehört die gesundheitliche Eignung zu den Auswahlkriterien des Art. 33 Abs. 2 GG?
Ja.
Art. 33 Abs. 2 schreibt vor, dass der Zugang zu öffentlichen Ämtern nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung erfolgt.
Die Eignung umfasst ausdrücklich auch die körperlich, geistige und psychische Gesundheit.
Für die Polizei als körperlich und psychisch fordernden Beruf ist das besonders bedeutsam:
Nur wer gesundheitlich langfristig belastbar ist, erfüllt das Verfassungsprinzip der Bestenauslese.
II.2. Wer legt die gesundheitlichen Anforderungen für Polizeibewerber fest?
Die zweite Frage:
Wer legt die gesundheitlichen Anforderungen für Polizeibewerber fest?
Nach der Rechtsprechung des BVerwG liegt die Festlegung der gesundheitlichen Anforderungen beim Dienstherrn.
Er verfügt über einen weiten Einschätzungsspielraum, um die Anforderungen auf das spezifische Anforderungsprofil der jeweiligen Laufbahn zuzuschneiden.
Für den Polizeivollzugsdienst bedeutet das:
Die gesundheitliche Eignung richtet sich nach einer uneingeschränkten Belastbarkeit, insbesondere unter Einsatzbedingungen wie Nachtschicht, Zwangsanwendung oder Einsätzen mit Schutzkleidung.
II.3. Nach welchem Maßstab wird die gesundheitliche Eignung beurteilt?
Die dritte Frage:
Nach welchem Maßstab wird die gesundheitliche Eignung beurteilt?
Die Eignungsprüfung erfolgt anhand eines einheitlichen Prognosemaßstabs.
Nach der Entscheidung des BVerwG ist entscheidend, ob mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (mehr als 50%) davon auszugehen ist, dass der Bewerber vor dem Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze dienstunfähig wird.
Diese Wahrscheinlichkeit muss sich auf den konkreten Fall und die individuelle gesundheitliche Situation beziehen.
Das bedeutet:
Nicht der bloße Umstand einer Erkrankung oder eines Risikos führt zur Untauglichkeit, sondern nur eine nachvollziehbare Prognose, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer vorzeitigen Ruhestandsversetzung führt.
Bei der Überprüfung der gesundheitlichen Eignung von Bewerberinnen und Bewerbern im Polizeivollzugsdienst, ist dabei die PDV 300 zu berücksichtigen, die konkrete Ausführungen zur gesundheitlichen Eignung aufstellt.
II.4. Wer trifft die Entscheidung über die gesundheitliche Eignung- und wann?
Die vierte Frage:
Wer trifft die Entscheidung über die gesundheitliche Eignung und wann?
Zwar basiert die Entscheidung auf amtsärztlichen Gutachten, die finale Verantwortung trägt jedoch der Dienstherr.
Die Beurteilung erfolgt zum Zeitpunkt der Begründung des Beamtenverhältnisses, also bei der Einstellung auf Widerruf, auf Probe oder auf Lebenszeit.
Es kommt also nicht darauf an, ob der Bewerber aktuell einsatzfähig ist, sondern ob er es mit hoher Wahrscheinlichkeit bis zum Pensionsalter bleibt.
II.5. Gilt die Eignung nur mit Hinblick auf den aktuellen Zustand, oder auch auf zukünftige Entwicklungen?
Die fünfte Frage:
Gilt die Eignung nur mit Hinblick auf den aktuellen Zustand, oder auch auf zukünftige Entwicklungen?
Das BVerwG stellt klar:
Die gesundheitliche Eignung bezieht sich nicht nur auf den gegenwärtigen Zustand, sondern auch auf eine Prognose über die gesamte Dienstzeit.
Hierbei müssen auch Veranlagungen, genetische Dispositionen oder chronische Erkrankungen berücksichtig werden, wenn sie das Risiko vorzeitiger Dienstunfähigkeit erheblich erhöhen.
So war es auch im Fall des Klägers, bei dem die Wahrscheinlichkeit eines neuen Schlaganfalls weit über dem Durchschnitt lag.
Daraus leitete der Dienstherr eine negative Prognose ab.
II.6. Gilt für Polizeibewerber ein anderer (strengerer) Maßstab als für Verwaltungsbeamte?
Die sechste Frage:
Gilt für Polizeibewerber ein anderer (strengerer) Maßstab als für Verwaltungsbeamte?
Das Urteil stellt eindeutig klar, dass kein anderer Prognosemaßstab gilt.
Der Maßstab ist gleich: „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ der Dienstunfähigkeit vor der Altersgrenze.
Allerdings richtete sich die konkrete Anwendung dieses Maßstabs nach dem jeweiligen Amt.
Da der Polizeidienst körperlich besonders fordernd ist, ist die Schwelle zur Untauglichkeit dort deutlich schneller erreicht als etwa im Innendienst einer Behörde.
II.7. Wer trägt die Beweislast für die gesundheitliche Prognose?
Die siebte Frage:
Wer trägt die Beweislast für die gesundheitliche Prognose?
Die Beweislast liegt beim Dienstherrn.
Dieser muss tatsächliche Anhaltspunkte für die Prognose vorlegen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine vorzeitige Dienstunfähigkeit eintreten wird.
Eine bloß abstrakte Möglichkeit oder ein allgemeines Risikoprofil reichen nicht aus.
Bewerber wiederum müssen nicht beweisen, dass sie gesund bleiben, sondern nur, dass keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Gegenteil besteht.
II.8. Gilt der Maßstab auch bei der Einstellung auf Probe oder Widerruf, oder nur bei Lebenszeitverbeamtung?
Die achte Frage:
Gilt der Maßstab auch bei der Einstellung auf Probe oder Widerruf, oder nur bei Lebenszeitverbeamtung?
Auch das hat das BVerwG klar entschieden:
Der Maßstab der gesundheitlichen Eignung gilt von Beginn an, also bereits bei der Einstellung auf Lebenszeit, auf Probe oder auf Widerruf.
Denn die gesundheitliche Prognose bezieht sich immer auf den Zeitraum bis zur Altersgrenze – nicht nur auf den nächsten Abschnitt im Beamtenverhältnis.
III. Was tun, wenn gesundheitliche Bedenken bestehen?
Wenn ein Bewerber eine Ablehnung wegen gesundheitlicher Bedenken erhält, sollte er wissen:
Der Dienstherr muss beweisen, dass eine vorzeitige Dienstunfähigkeit wahrscheinlich ist.
Das eröffnet Handlungsspielräume für die Betroffenen.
So können die Gutachten des Dienstherrn überprüft werden.
Gleichzeitig können eigene Atteste und Gutachten von den eigenen Ärzten eingeholt werden.
Gerade bei medizinisch kontrollierbaren Vorerkrankungen kann eine gut belegte Gegenprognose die Entscheidung kippen.
Gegen negative Entscheidungen können Rechtsmittel erhoben werden.
Bei Problemen in diesem Bereich ist Betroffenen dringend zu einer anwaltlichen Beratung und Vertretung geraten.
Allzu häufig versuchen die Dienstherrn Bewerberinnen und Bewerber nicht in das Beamtenverhältnis aufzunehmen, um in ihrer Personalstruktur die Wahrscheinlichkeit von Ausfällen so gering wie möglich zu halten.
In Zeiten des Personalmangels sicherlich ein nachvollziehbarer Gedanke.
Aber nur, wenn sich die darauf basierenden Entscheidungen auch an geltendes Recht halten.
Für juristische Laien wird in diesen Fällen schnell undurchschaubares Neuland betreten.
Die Vertretung durch einen Spezialisten im Beamtenrecht ist daher geboten.
In einem Erstberatungsgespräch können Betroffene die Sach- und Rechtslage mit einem Anwalt erörtern und das weitere Vorgehen planen.
IV. Fazit: Einzelfallprüfung
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zeigt deutlich; nicht jede gesundheitliche Beeinträchtigung führt automatisch zur Untauglichkeit für den Polizeidienst.
Entscheidend ist stets ob ein konkretes Risiko für eine frühzeitige Dienstunfähigkeit besteht und wie hoch dieses Risiko wirklich ist.
Der Dienstherr trägt dabei die Verantwortung, eine konkrete Prognose im Einzelfall zu erstellen und nicht nur auf allgemein Erfahrungswerten abzustellen.
Wer sich also trotz gesundheitlicher Vorgeschichte für den Polizeidienst bewirbt, hat gute Chance, sofern die gesundheitlichen Risiken beherrschbar sind und fundiert entkräftet werden können.
Transparenz, ärztliche Nachweise und Beratung sind dabei entscheidende Bausteine.
Wer betroffen ist, sollte sich frühzeitig informieren, medizinisch absichern und gegebenenfalls reichlich wehren.
Denn oft entscheidet nicht die Diagnose – sondern die Prognose.